Schon als Gymnasiastin faszinierte mich die Psychiatrie. Damals interviewte ich eine Psychiaterin für eine Arbeit über Schizophrenie. Als ich sie fragte, ob sie Angst vor ihren Patientinnen und Patienten habe, lächelte sie nur und sagte: «Wenn überhaupt, dann fürchte ich mich vor den Menschen da draussen, die ich weniger gut verstehe.» Dieser Satz liess mich nicht los und war der Auslöser für meine spätere Begeisterung für die Psychiatriegeschichte.
Während meines Studiums der Geschichte und Germanistik kehrte ich immer wieder zu diesem Thema zurück – sei es in meiner Bachelorarbeit über Christine Lavants «Auszeichnungen aus dem Irrenhaus» oder bei der Auseinandersetzung mit «Kriegszitterern» und frühneuzeitlichen Suizidberichten.
Dass ich Jahre später im Historischen Museum Basel im Projektteam für eine Ausstellung zur Basler Psychiatriegeschichte landen würde, hat sich sozusagen angebahnt. Trotzdem kann ich manchmal kaum glauben, dass ich an der Ausstellung «verrückt normal» mitwirken durfte – einem Thema, das nicht nur spannend, sondern auch hochaktuell ist.
Der Blick zurück hilft, Schranken abzubauen
Meine Begeisterung für die Psychiatriegeschichte stiess in meinem Umfeld jedoch nicht nur auf Verständnis. Oft wurde ich gefragt: «Ist die Arbeit nicht total belastend?» oder: «Was man früher in den Psychiatrien gemacht hat, war doch schrecklich.» Viele Menschen denken bei der alten Psychiatrie sofort an Zwangsjacken, Lobotomien und sadistische Ärzte.
Zugegeben, auch ich hatte früher solche Bilder im Kopf. Doch mit der Arbeit an der Ausstellung wurden diese Vorstellungen differenzierter. Sadistische Ärzte sind mir keine begegnet – weder in der Gegenwart noch in den alten Archivakten. Stattdessen stiess ich auf das Elend, das psychische Krankheiten verursachen, und auf die Ohnmacht, die sie bei Behandelnden oft auslösten. Es waren die Krankheiten selbst, die schrecklich waren, und die Schicksale der Betroffenen, die berührten.
Natürlich fand ich auch drastische und ethisch fragwürdige Behandlungsversuche: Fieberkuren, Lobotomien, Schocktherapien. Zwar verstehe ich heute besser, warum Fachleute diese Methoden ausprobierten – sie entsprachen dem Stand der Forschung und waren oft das einzige, was überhaupt getan werden konnte. Doch das ändert nichts daran, dass diese Methoden oft kaum halfen und zusätzliches Leid verursachten. Und die Ohnmacht ist bis heute spürbar, etwa wenn es zu Zwangsmassnahmen kommt.
Der Sog der Psychiatrie hat mich nicht losgelassen, auch jetzt nicht, wo sie mir weniger geheimnisvoll erscheint. Im Gegenteil: Je mehr ich über ihre Geschichte lernte, desto grösser wurden die Fragen, die sich mir stellten – vor allem die ethischen Fragen, die sich hinter den vermeintlichen Schreckensbildern der alten Psychiatrie verbergen. Diese Fragen werden mich noch lange begleiten. Und ich hoffe, dass unsere Ausstellung noch viele Menschen mehr dazu anregt. Denn ich bin überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit der Psychiatrie von damals, heute und morgen für uns als Gesellschaft wichtig, ja sogar notwendig ist.
Katja Rehmann
Katja Rehmann hat die Ausstellung «verrückt normal» mitkuratiert, die die rund 150-jährige Geschichte der Basler Psychiatrie beleuchtet. Katja Rehmann ist wissenschaftliche Assistentin des Historischen Museums Basel (HMB) und zudem Co-Produzentin des Podcasts zur Ausstellung.
«Verrückt normal» läuft noch bis zum 29. Juni 2025 in der Basler Barfüsserkirche.