«Es braucht ein Umdenken»

Warum geht es Jugendlichen heute schlechter – und was braucht es, damit junge Menschen mit Krisen umgehen können? Dazu Prof. Christina Stadler, psychologische Klinikleitung UPKKJ.

Woran leiden die jungen Menschen heute?
Christina Stadler:
Internale psychische Erkrankungen wie Angsterkrankungen und Depressionen haben bei Jugendlichen besonders zugenommen. Wir stellen bei ihnen, vor allem aber auch bei Kindern, eine Zunahme von aggressiven Verhaltensschwierigkeiten fest.
Wir müssen dazu wissen: Drei von vier seelischen Leiden nehmen ihren Anfang in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter. Das Risiko, psychisch zu erkranken, ist in den ersten 25 Lebensjahren – bis zum Ende der Adoleszenz – also besonders hoch.

Warum betrifft es Jugendliche besonders stark?
Das Jugendalter ist selber schon eine kritische Entwicklungsphase, viele Entwicklungsaufgaben sind zu meistern und das Gehirn durchläuft eine einzigartige Umbauphase. Dann stellt uns die heutige Zeit vor eine Vielzahl von zusätzlichen Belastungsfaktoren und Herausforderungen. Vieldiskutiertes Beispiel sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie, unter der gerade Kinder und Jugendliche besonders gelitten haben. Studien belegen ganz klar, dass seit Ende der Corona-Pandemie Jugendliche und insbesondere Mädchen eine schlechtere psychische Gesundheit aufweisen als je zuvor.

Die Pandemie als Verstärker?
Ja, davon kann man ausgehen. Die Auswirkungen der Isolation waren für Jugendliche besonders schwer. Soziale Kontakte sind für junge Menschen von grosser Bedeutung und gute Peerkontakte können Stress mildern – und hier meine ich vor allem echte psychische Kontakte. Aber nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch aktuelle gesellschaftliche oder weltpolitische Krisen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, was die Psyche der jungen Menschen weiter stark belastet. Es ist weniger vorhersagbar, was die Zukunft bringt. Und das kann neben dem alltäglichen Schulstress und den Herausforderungen im Jugendalter, etwa in der zunehmenden Vielfalt der Möglichkeiten, seine eigene Identität und Persönlichkeit zu finden, irgendwann einfach zu viel sein. Es sind also mehrere Faktoren zu berücksichtigen.

Sind psychische Erkrankungen bei jungen Menschen in einem kulturellen und gesellschaftlichen Kontext zu sehen? Oder ist das Leiden universell?
In der 2023 veröffentlichten repräsentativen Studie «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC) wurden schulpflichtige 11- bis 15-Jährige in 44 Ländern in Europa und Nordamerika über Gesundheit und Wohlbefinden befragt. Etwa 30 Prozent der Jugendlichen berichten über eine schlechte psychische Gesundheit und 16 Prozent über wenig Lebenszufriedenheit. Der Trend ist also universell zu beobachten und meiner Meinung nach eindeutig nicht nur darauf zurückzuführen, dass Jugendliche eventuell auch mehr bereit sind, über psychische Schwierigkeiten zu sprechen als früher.

Welche Mitschuld tragen die sozialen Medien?
Gerade vulnerable Jugendliche sind durch soziale Vergleiche mit Gleichaltrigen oft belastet. In der Corona-Zeit hat sich diese Belastung durch eine vermehrte Nutzung der sozialen Medien verstärkt. Die langanhaltende Isolation scheint sich besonders negativ bei den Mädchen und jungen Frauen ausgewirkt zu haben. Dies zeigte sich beispielsweise mit einem Anstieg der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper beziehungsweise mit dem Körpergewicht. Mich erstaunen Hinweise nicht, dass sich der Einfluss der Nutzung sozialer Medien auf die psychische Gesundheit bei Mädchen ungünstiger auswirken soll als bei Jungen. Mädchen und jungen Frauen wird in den sozialen Medien rund um die Uhr mitgeteilt, wie sie auszusehen und zu sein hätten. Da braucht es viel, um sich diesem Sog entziehen und seinen Weg gehen zu können.

Die UPK setzen nun mit FIT und ELKI sehr früh an. Warum?
Wie gesagt, drei Viertel aller psychischen Krankheiten beginnen in den ersten 25 Lebensjahren. Und der Wunsch der Jungen nach einem solchen Angebot besteht, wie unsere Befragungen unter jungen Menschen gezeigt haben.

Braucht es noch mehr Angebote – oder braucht es vor allem ein Umdenken in der Gesellschaft?
Ich glaube, es braucht ein Umdenken. Nach wie vor werden für die psychische Gesundheit insgesamt zu wenig Mittel eingesetzt. Psychische Schwierigkeiten beginnen, wie wir wissen, früh und sind, wenn sie nicht behandelt werden, mit Leid, aber auch hohen finanziellen Kosten verbunden. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie steht mit einem stationären Versorgungsangebot oft am Ende der Versorgungskette.
Wir müssen sogenannte intermediäre Angebote ausbauen, beispielsweise tagesklinische Plätze, und aufsuchende Behandlungsangebote schaffen. Mit der Frühinterventionsklinik und der Multisystemischen Therapie stehen die UPK hier schon gut da. Aber auch niederschwellige Angebote müssen weiter ausgebaut werden. Und nicht zuletzt spielt die Prävention eine sehr grosse Rolle, auch hier sehe ich uns in der Pflicht.

Geht es den Jugendlichen unterm Strich heute so schlecht?
Nicht jede oder jeder Jugendliche braucht eine kinderpsychiatrische Behandlung, aber Jugendliche müssen besser darauf vorbereitet sein, wie sie mit den zunehmenden Belastungen umgehen können. Es geht also darum, ihre psychische Resilienz zu stärken und stabilisierende Kontakte mit Peers zu ermöglichen. Gerade letzter Punkt erscheint mir wichtig, da auch Jugendliche immer mehr über Einsamkeit klagen und gerade das Eingebundensein in ein funktionierendes soziales Netzwerk ein Schutzfaktor bei psychischer Belastung ist. Dieses Werkzeug müssen wir ihnen geben.

Wie sieht dieses Werkzeug denn aus?
Dringend nötig sind präventive Ansätze, die darauf abzielen, die eigenen Handlungs- und Problemlösekompetenzen zu fördern und die erlebte Selbstwirsamkeit zu steigern. Diese Ansätze sollten im Lebensumfeld der Jugendlichen umgesetzt werden und auch die Fachpersonen einbeziehen. Denn, auch das hat die Corona-Pandemie gezeigt: Kinder und Jugendliche, die in der Krise in ein stabiles Umfeld eingebettet waren, haben weniger stark unter den belastenden Faktoren gelitten.
In der Region Basel und auch darüber hinaus bieten wir seit vielen Jahren zum Beispiel das Programm «Start Now» an und haben viele Fachpersonen geschult, dieses Skillstraining selbst mit Jugendlichen umzusetzen.

*Prof. Christina Stadler, psychologische Klinikleitung der Klinik für Kinder und Jugendliche (UPKKJ) und klinische Professorin an der Universität Basel. Mit «Start Now» hat die Wissenschaftlerin ein in den USA entwickeltes Behandlungsprogramm zur Emotionsregulierung bei Jugendlichen adaptiert. Erfahren Sie mehr über die Arbeit von Christina Stadler in der News «Lernen, mit Krisen umzugehen», in der Medienmitteilung «Die UPK reagieren mit FIT und ELKI» oder im Livestream zu «Mensch.Psyche» zum Thema «Jugend in der Krise».

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