In zwei Jahren 15 verschiedene Heime – klingt unglaublich, aber Dr. Matthias Luther kennt eine junge Frau, die in so kurzer Zeit so viele Einrichtungen von innen kennenlernen musste. Luther ist ärztlicher Leiter des Zentrums für Liaison und aufsuchende Hilfen der UPK Klinik für Kinder und Jugendliche. Eine solche Odyssee und insbesondere die vielen Beziehungsabbrüche wirken sich negativ auf das Leben aus. «Aus Studien wissen wir, je mehr Beziehungsabbrüche, desto schlechter die Prognose», sagt Luther. «Die Kinder verlieren das Vertrauen, dass eine Beziehung Bestand haben kann. Es steigen die Wahrscheinlichkeiten für somatische und psychiatrische Diagnosen sowie für delinquentes Verhalten. Gleichzeitig wird die soziale Integration immer schwieriger.»
Interdisziplinäre Übersetzungsarbeit
Damit den Kindern und Jugendlichen unnötige Heimwechsel möglichst erspart bleiben, gibt es im Kanton Basel-Stadt seit 2011 eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Heimen und den UPK. Unter der Bezeichnung «Liaison» arbeiten sozialpädagogische Fachpersonen in den Heimen mit den psychiatrischen und psychologischen Fachpersonen der UPK zusammen. Das Wort «Liaison» bringt zum Ausdruck, dass es um einen Austausch auf Augenhöhe geht. An regelmässigen Sitzungen in den Heimen wird interdisziplinär ein gemeinsames Fallverständnis erarbeitet: Was muss ein Kind lernen, um symptomfrei zu werden? Welche alternativen Beziehungserfahrungen sollte es machen? Es ist eine gegenseitige Übersetzungsarbeit von Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie, damit die Kinder eine passgenaue Unterstützung erhalten. Das stabilisiert die Heimplatzierungen und reduziert Notfälle und psychiatrische Erkrankungen.
Tritt ein Notfall ein, kommt die aufsuchende Hilfe durch die Fachpersonen der UPK zum Zug, ein wichtiges Element des Liaison-Projekts. «Bei Notfalleinsätzen gehen wir in die Heime. Wenn sich in einer akuten Situation ein Klinik- oder Spitaleintritt verhindern lässt, haben wir etwas gewonnen, denn auch ein vorübergehender Spitalaufenthalt ist ein Beziehungsabbruch», sagt Luther.
Duale Finanzierung
Das Zentrum für Liaison und aufsuchende Hilfen kooperiert gegenwärtig mit 15 sozialpädagogischen Institutionen. Die Finanzierung steht auf zwei Beinen. Leistungen der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkräfte für die sozialpädagogischen Teams werden durch die Institution abgegolten, vertraglich geregelt durch einen Rahmenvertrag mit dem Erziehungsdepartement Basel-Stadt. Direkte Leistungen an den Kindern und Jugendlichen werden von den Krankenkassen getragen.
Etwa 200 Personen, die vor rund zehn Jahren als Jugendliche in Heimen schon einmal Auskunft gaben, konnten im Modellversuch JAEL (Jugendhilfeverläufe: Aus Erfahrung lernen) erneut befragt werden (Näheres unter www.jael-portal.ch). Die detaillierten Auswertungen werden am 8. Februar 2021 präsentiert. Matthias Luther kann bereits verraten, dass JAEL den eingangs beschriebenen Zusammenhang bekräftigt: Je weniger Heimwechsel, desto besser die Prognose.